Erinnerungs- und Europapolitik

Rede im Landtag, 30.01.2019

(2. Teil zu Regierungserklärung Hubig: „Demokratie macht Schule: Rheinland-Pfalz stärkt Demokratiebildung, Erinnerungskultur und europäisches Miteinander“)

Frau Präsidentin, werte Kollegen!

Was wir heute mit Blick auf unsere deutsche Geschichte vor allem brauchen, lässt sich in drei zentralen Punkten zusammenfassen:

1.) die gemeinschaftliche Annahme unserer ganzen Nationalgeschichte von den Anfängen bis in die Gegenwart – mit allen ihren Höhen und Tiefen;

2.) das Bekenntnis zur kollektiven Verantwortung für unsere Geschichte und zugleich zur Ablehnung von Kollektivschuld, ganz gleich, ob in Bezug auf das deutsche Volk oder auf andere Völker;

3.) das kontinuierliche Bemühen von Schulen, Medien, der Politik und anderen öffentlichkeitswirksamen Akteuren um eine Verankerung historischer Ereignisse und Prägungen im Bewusstsein möglichst aller Teile der Bevölkerung, insbesondere jedoch der nachwachsenden Generationen.


Wir müssen, um Gegenwart und Zukunft meistern zu können, einen identitätsstiftenden Anschluss an unsere Vergangenheit finden. Wissensbasiert ebenso wie gefühlsbetont. Und zwar auch, indem wir einen ähnlichen Weg beschreiten, wie ihn Dr. Peter Waldmann am 15. Januar hier im Landesmuseum in Mainz so treffend beschrieben hat.

Für die Mainzer jüdische Gemeinde und das aschkenasische Judentum insgesamt betonte Herr Dr. Waldmann die außerordentliche Bedeutung des großen Kulturerbes der SchUM-Stätten in Speyer, Worms und Mainz. Angesichts gebrochener Traditionen und gewaltsam abgerissener Kontinuitäten sowie größerer Migrationsbewegungen müsse man den Blick auf die gesamte Geschichte im Herzen Europas lenken, also auch und gerade bis zurück ins Mittelalter schauen. Herr Dr. Waldmann verwies hier, um bei seinem konkreten Beispiel zu bleiben, auf die vor allem aus wirtschaftlichen Gründen in den neunziger Jahren zahlreich ins Land gekommenen sog. jüdischen Kontingentflüchtlinge aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion und deren Integrationsschwierigkeiten in den bestehenden Gemeinden.

Die sich zum Weltkulturerbe anschickenden SchUM-Stätten sind zugleich ein wichtiger Baustein für das Haus der deutschen Geschichte in seiner Gesamtheit. Sie gehören, damit unser historisches Fundament nachhaltig trägt, ebenso dazu wie die mit den kommenden Landesausstellungen in Erinnerung gerufenen Glanzzeiten der salischen und staufischen Kaiser. Zweifellos haben bei diesem Jahrhunderte übergreifenden historischen Bau Johannes Gutenberg, Friedrich Wilhelm Raiffeisen oder auch Karl Marx ihren Platz. Und am 27. Januar und am heutigen 30. Januar tritt selbstverständlich die Erinnerung an das Grauen von Auschwitz und die verhängnisvollen Folgen der nationalsozialistischen Machtübernahme vor 86 Jahren in den Vordergrund, während dann im Laufe des Jahres etwa am 17. Juni oder am 13. August die Bewusstmachung der kommunistischen Unrechtsregime in besonderer Weise präsent sein sollte.

Alle Opfer sind es wert, dass man sich ihrer erinnert, damit ihre Leiden nicht ganz umsonst waren und sie nicht in irgendwelchen völlig anonymen Statistiken entschwinden. Das gilt für die unermesslichen Qualen in den KZs der Nazis, es gilt für die Massenverbrechen im sowjetischen GuLag, die Untaten in den Stasi-Gefängnissen von Hohenschönhausen oder Bautzen sowie viele andere Zivilisationsbrüche rund um unseren Globus und zu allen Zeiten der Menschheitsgeschichte. Der Besuch von Gedenkstätten oder gezielte Schülerreisen zur Förderung der Völkerverständigung, etwa nach Israel, Polen oder Frankreich, sind und bleiben wichtig. Heute noch lebende Zeitzeugen sind vielleicht sogar noch bedeutsamer, weil sie eine unmittelbare, authentische und emotionale Brücke zur jüngeren Geschichte bilden.

Ihre zutiefst traurigen Erzählungen, aber auch andere, schöne Momente kollektiven Glücks, herausragende Persönlichkeiten und weithin ausstrahlende historische Stätten gehören zu einem ganzheitlichen deutschen und nicht nur deutschen Geschichtsverständnis unabdingbar dazu.

Ebenso zählen die 2019 mit großen Jahrestagen anstehende Erinnerung an die national-konservative Erhebung des 20. Juli 1944 gegen das verbrecherische Hitler-Regime und an den Mauerfall von 1989 dazu. Gerade der 9. November 1989 eignet sich in hervorragender Weise als deutscher und europäischer Gedenktag, wurde doch durch den Fall der Mauer die Teilung Deutschlands und Europas beendet. Es ist der Tag der Befreiung für ganz Europa. Einer Befreiung von Diktatur und totalitären Ideologien.

Wir als AfD begrüßen es sehr, wenn die Bundeswehr am 23. Mai anlässlich des 70. Jahrestages unseres Grundgesetzes ein öffentliches Gelöbnis vor dem Hambacher Schloss plant und damit wertvolle Traditionslinien der deutschen und gerade auch der rheinland-pfälzischen Geschichte miteinander verknüpft. Hambach und das Jahr 1832 steht schließlich für die Symbiose aus Freiheit, Demokratie und Vaterlandsliebe. Apropos Vaterlandsliebe: In der rheinland-pfälzischen Verfassung heißt es in Artikel 33: „Die Schule hat die Jugend … zur Liebe zu Volk und Heimat … zu erziehen.“ Von Heimatliebe, Frau Ministerin Hubig, habe ich in Ihrer Rede allerdings leider nichts gehört.

Doch erweitern wir jetzt gemeinsam unseren Blick auf die Geschichte: Um erinnerungspolitisch ein wahrhaft gesamteuropäisches Bewusstsein zu erreichen, müssen die Länder im Westen des Kontinents endlich gedanklich auf die Mittel- und Osteuropäer zugehen. Sie müssen bereit sein, ihnen zuzuhören und ihre Geschichte und Geschichten verstehen zu wollen. Der in so manchen Köpfen unterschwellig leider noch immer fortbestehende „Eiserne Vorhang“ sollte endlich vollends gelüftet werden.
Der ungarische Historiker Dr. Krisztian Ungvary hat völlig Recht, wenn er darauf hinweist, dass Europa eine doppelte Vergangenheit hat und der Westen nur einen Teil der Totalitarismen des 20. Jahrhunderts erlebte.
Er beklagt – ich zitiere:
„Leider haben westliche Intellektuelle mehr Deutungshoheit über die Geschichte und zeigen manchmal zu wenig Sensibilität für die Opfer des Kommunismus. Ein Demokrat müsste aber die gleiche Distanz zu allen Diktaturen behalten. Die Versuche, eine europäische Erinnerung zu schaffen, ohne die Interessen der Osteuropäer zu berücksichtigen, empfinde ich als geistige Kolonisation.“ Zitatende

Deshalb hat das Aufstellen einer riesigen Marx-Statue in Trier die Mittel- und Osteuropäer stark irritiert. Der Marx-Kult im vergangenen Jahr hat Europa erinnerungspolitisch nicht versöhnt, sondern gespalten.
Dies zeigte sich bei den Reisen des Ausschusses für Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur in Mittelböhmen und des Ausschusses für Bildung in Estland mehr als deutlich. Der Ausschuss für europäische Angelegenheiten des tschechischen Parlaments verabschiedete sogar eine Resolution, in welcher dem in Trier am 4. Mai 2018 als Festredner aufgetretenen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker „mangelnde Sensibilität und eine Verspottung der historischen Erfahrungen der ost- und mitteleuropäischen Länder“ vorgeworfen wird. Gerade die Veranstaltungen am 4./5. Mai 2018, an der eine Reihe hoher Vertreter der Landesregierung teilnahmen, schlugen in Europa hohe Wellen und warfen ein schlechtes Licht auf Rheinland-Pfalz.

Es mangelt gerade bei der regierungstragenden SPD-Fraktion ganz offensichtlich an Mitgefühl für unsere Nachbarn. Man hat den Eindruck, dass Sie – liebe angeblich so weltoffene Genossen – überhaupt nicht in der Lage sind, über den eigenen ideologischen Tellerrand hinauszublicken. Das zeigte sich in trauriger Deutlichkeit am 22. November 2018 im Bildungsausschuss. Als unser Abgeordneter Joachim Paul im Zuge einer Diskussion über islamistische Umtriebe darauf hinwies, ihm sei nicht bekannt, dass sich die Behörden in Ungarn, Polen, Slowenien oder der Slowakei mit solchen Phänomenen auseinandersetzen müssten, wurde ihm seitens der SPD entgegnet: „Da will ja auch keiner hin.“
Das ist das Bild, das die SPD von unseren europäischen Partnern zeichnet, wobei unsere rheinland-pfälzischen Partnerregionen im Oppelner Schlesien und in Mittelböhmen inbegriffen sind. Ich sage Ihnen hier und heute mit aller Deutlichkeit: So etwas ist verletzend, engstirnig und in keiner Weise europäisch gedacht.

Im Gegensatz zu einem derart beschränkten Horizont will ich festhalten, dass wir als Alternative für Deutschland gegen die EU in ihrer jetzigen Form sind und erheblichen und dringenden Reformbedarf sehen. So sehr, wie wir jedoch gegen eine zentralistische, hyperbürokratische, bürgerferne und tendenziell undemokratische EU sind, so sehr sind wir für das echte Europa!
Die AfD tritt selbstbewusst für das Europa der Vaterländer ein, ein Europa, das durch seine landschaftliche und sprachlich-kulturelle Vielgestaltigkeit begeistert, das fasziniert durch seine reiche Geschichte, seine nationale und regionale Vielfalt, ein Europa der gemeinsamen Erinnerungen und Werte. Dieses Europa gilt es heutzutage zu verteidigen und ihm eine glückliche Zukunft zu sichern! Eine Zukunft ohne unkontrollierte, vollends aus dem Ruder laufende Massenzuwanderungen aus fremden Kulturräumen und ohne islamistischen Terror. Eine Zukunft ohne Juncker, Macron und Merkel, ohne extreme Zentralisten aller Couleur und ohne jene ideologisch verblendeten oder einfach nur naiven Claqueure des Establishments, ganz gleich, ob sie nun rote Schals tragen oder vorgeblich den Puls Europas erfühlen.

Dieses Europa und nicht das real existierende EU-Europa muss in Gegenwart und Zukunft seinen internationalen Einfluss daraus gewinnen, seine Kräfte zu bündeln, ohne die Besonderheiten der vielen Glieder übermäßig zu vereinheitlichen. Unter Verweis auf die hehren Güter der Subsidiarität und einer möglichst dezentralen Bürgermitbestimmung bekennen wir als AfD uns zu Einigkeit und Recht und Freiheit. Wir bekennen uns zu demokratischer Selbstbestimmung, Demokratiebildung und Erinnerungskultur sowie zur Besinnung der Deutschen auf ihre besondere Aufgabe als Land der Mitte in der christlich-jüdisch-abendländischen Völkerfamilie.

Unser Grundgesetz betont neben den Menschenrechten und den unveräußerlichen Werten der Freiheit und Gleichheit vor dem Gesetz die freie Selbstbestimmung des deutschen Volkes. Es ist durchdrungen von den geschichtlichen, ja auch ethnisch-kulturellen Bezügen zu jenen Menschen, die „schon länger hier leben“, nämlich als gewachsene, von guten und schlechten Zeiten des gemeinsamen Erlebens zutiefst geprägte Kulturgemeinschaft.

Darüber hinaus ist das Selbstbestimmungsrecht der Völker samt der Kategorie des Ethno-Kulturellen ein integraler Bestandteil des Völkerrechts. Als solches begründet es ganz wesentlich die Arbeit der Vereinten Nationen, der OSZE und anderer wichtiger internationaler Organisationen. Wer diese Rechtsgüter in Frage stellt, handelt gegen das Völkerrecht, das selbstverständlich auch für die EU-Apparate in Brüssel gilt und ebenso für nationale Regierungen und Gerichtshöfe aller Art.

Ob diese letztgenannten kritischen Bewertungen in den rheinland-pfälzischen Schulen vor dem Hintergrund des Gebots der Meinungsvielfalt und einer vitalen Diskussionskultur gebührende Berücksichtigung finden? Ich habe da so meine Zweifel! Wird in den Schulen unterschieden zwischen Europa und der EU? Werden die Mängel an Demokratie der Brüsseler EU-Apparate thematisiert? – Wir sind gespannt und hoffen auf die Zukunft.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!